Der Auftraggeber
Dr. T. Bergmann
Auf den ersten Blick wirkt Dr. Theodor Bergmann sachlich, nüchtern. Wie einer, der viel mit Zahlen zu tun hat, der gut ab- und einschätzen kann, zu jedem Zeitpunkt weiß, was er tut, sich nicht von Emotionalem sondern von Argumenten und Zahlen leiten lässt. Der Mann ist ein Realist, kein Träumer.
Was hat den Geschäftsmann dazu bewogen, ein Kunstprojekt zu finanzieren, das sein Osnabrücker Boardinghouse zum Objekt einer Installation macht, die die Fantasie beflügelt, die Räume und Gedanken öffnen kann?
Die Antwort könnte weit in der Vergangenheit liegen, in der ein kleiner Junge eine ebenso große Freude daran hatte, aus unsortierten Legosteinen eine ordentlichen Gesamtheit entstehen zu lassen, wie er sich beim Spiel mit der elektrischen Eisenbahn in andere Szenerien hinein versetzen konnte. Schon früh spürt er, als mittleres von fünf Geschwistern (ein sechstes Kind verstarb früh), die Verpflichtung, das Lebenswerk seiner Eltern fortzuführen. Beide, Mutter und der schwer kriegsversehrte Vater, haben durch immensen Fleiß den größten konzernfreien Einzelhandelsbetrieb der Region aufgebaut. Alle Kinder können ein Hochschulstudium absolvieren und einen ordentlichen Beruf erlernen, auch die Schwestern, zu dieser Zeit nicht unbedingt selbstverständlich. 1987, nach einigen Jahren im elterlichen Unternehmen, zahlt Bergmann die Geschwister aus und übernimmt.
Er hat nicht nur Visionen, er hat reale Vorstellungen für seine Stadt, obwohl er längst nicht mehr nur dort aktiv ist. Der Immobilienkaufmann gibt Studien und Analysen zu einer Verkehrsberuhigung des Neumarkts in Auftrag. Die Osnabrücker Innenstadt soll lebendiger werden, einen Ausdruck bekommen, die Menschen sollen sich dort gern aufhalten. Natürlich gibt es ein professionelles Interesse seinerseits, aber es geht auch um die Bürger, um den Geist der Stadt. Er muss mit Widerständen, in erster Linie der Konkurrenz, kämpfen, mit Beamtenfilz und Korruption. Eine andere Geschichte. Keine schöne. Genau genommen ein Skandal und Material für mehrere Romane.
Die Idee zum Boardinghouse entsteht im Zusammenhang mit der Frage, wie bei sinkendem Bedarf an großen Büroeinheiten Obergeschosse sinnvoll genutzt werden können. Es ist der Wunsch, Geschäftsreisenden ein Zuhause auf Zeit zu offerieren, das der Ausstattung eines Hotels aber den Charakter einer eigenen, voll ausgestatteten Wohnung hat. Die Gäste fühlen sich in den, im zurückhaltenden Design eingerichteten Zimmern und Suiten wohl.
Das ‚Line of Sight Projekt‘ wird das Haus einzigartig machen, den Bewohnern etwas geben, das Osnabrück ihnen möglicherweise nicht geben kann. Vielleicht aber ist es für Bergmann auch der Gedanke, der Stadt Osnabrück etwas zu schenken.
‚Osnabrück existiert‘, sagt Bergmann, ‚Münster und Bielefeld leben.‘ Diesen Unterschied habe er immer empfunden. Der Boardinghouse-Besitzer wünscht sich mehr Lebendigkeit in Osnabrück, mehr Offenheit. Die Grenzen, die diese Atmosphäre vielleicht verhindern, die thematisiert Michael Korte mit seinem ‚line-of-sight‘ – Projekt. Der Blick durch Hauswände hindurch, die die Sicht konkret verbergen, der Blick hinaus in die Ferne und noch weiter, können Erkenntnis bringen. Bergmann ist überzeugt, dass dort sehr sehr viel Schönes zu finden ist, Interessantes und Neues, womöglich etwas, das den Erkennenden neugierig macht, auf sich selbst – und vielleicht auch auf Osnabrück … Er selbst möchte sich hinter den Grenzen dieser Mauern bewegen können, und nicht gefangen sein. ‚Und wenn der ein oder andere diesen Blick, durch die Begrenzung hindurch, wenn er in diesem Zimmer ist, nachvollziehen kann, wenn er die eigene Perspektive dadurch hinterfragen kann, dann hat dieses Projekt etwas bewirkt.‘
Text: Maria Regina Heinitz